Zwei Frauen im Dialog

Zunächst begrüßte Ostfilderns Erster Bürgermeister Rainer Lechner die Besucher, die trotz herrlichen Sommerwetters in das Stadthaus Scharnhauser Park gekommen waren. Er stellte den Sprachunterricht und die Integration in den Arbeitsmarkt als zentrale Handlungsfelder heraus.

Zugleich wies er darauf hin, dass es nicht nur darum gehen könne, Fähigkeiten zu lehren – auch unsere Werte und Rechtsordnung müssten umfassend vermittelt werden. Insgesamt leitete Lechner den Tag optimistisch ein: „Wir sind hier in Ostfildern auf einem guten Weg, gemeinsam gehen wir die vor uns liegenden Aufgaben an.“

Jörg Berrer, Fachbereichsleiter Soziales in der Ostfilderner Stadtverwaltung gab einen kurzen Rückblick: 2014 kamen die ersten Bürgerkriegsflüchtlinge an, umgehend gründeten engagierte Bürgerinnen den bis heute extrem wichtigen Freundeskreis Asyl. In der Folgezeit sei der Zustrom in Ostfildern nicht anders gewesen als in vergleichbaren Kommunen.  

Mittlerweile sei die Lage aus Verwaltungssicht eher entspannt, noch in diesem Jahr könnten alle Notunterkünfte aufgelöst werden. Berrer schloss mit einer positiven Feststellung: „In den vergangenen zwei Jahren sind sehr viele neue Netzwerke entstanden. Ostfildern gewinnt gerade ein neues Bürgerschaftliches Engagement.“

Dann ging es an die Arbeit. Nachdem im großen Plenum unter Leitung des externen Moderators Christoph Weinmann die wichtigsten Handlungsfelder herausgearbeitet und beschrieben worden waren, verteilten sich die Arbeitsgruppen „Sprache“, „Wohnen“, „Arbeitsmarkt“, „“Bürokratie & Netzwerke“, „Vorbehalte & Haltung“ und „Soziales Miteinander & kulturelle Vielfalt“ im Haus.

„Ich finde es toll, dass wir uns direkt in den Flüchtlingsdialog einbringen und uns hier zugehört wird. Ich bin seit sechs Monaten hier in Ostfildern. Ich wohne zusammen mit zehn anderen Syrern in einer Wohngemeinschaft, es läuft bei uns echt gut. Als ich nach Deutschland kam, wollte ich zunächst in eine große Stadt – mindestens so groß wie Stuttgart. Aber inzwischen will ich hierbleiben. Ich denke, es ist einfacher, in einer kleineren Stadt anzukommen.“

Mohammed Sipan

Hier wurden Nägel mit Köpfen gemacht: Alle Gruppen hatten sich die Aufgabe gestellt, nicht nur Probleme zu erkennen, zu beschreiben und zu priorisieren. Vielmehr sollten die Diskussionen konkrete realistische Aufgabenstellungen hervorbringen - und dies mit Erfolg.

In einem Abschlussplenum wurden die verschiedenen Ergebnisse vorgestellt. Und diese waren beachtlich: In einer Arbeitsgruppe hatte sich bereits ein Gremium gebildet, das regelmäßige Treffen mit syrischer Kultur und deutscher Sprache organisieren will. Die Idee von Jobmentoren für Flüchtlinge über 30 Jahren wurde ebenso präsentiert wie der Wunsch nach einem kommunalen Welcome-Center, in dem alle Angebote und Informationen zusammengefasst werden sollen. Als weitere mögliche Projekte wurden ein regelmäßiges Reparaturcafé und eine Gartengruppe genannt. In einer Forderung spiegelte sich deutlich das Selbstbewusstsein einer städtischen Bürgergesellschaft wider: In die dringend nötige Planung von neuem Wohnraum müssten die ehrenamtlichen Helfer eingebunden werden, ihre Erfahrungen und Kenntnisse seien ein reicher Schatz. Ob alle Ideen umgesetzt werden können, wird sich erweisen. Auf jeden Fall versprach Oberbürgermeister Christof Bolay [ein Interview finden Sie weiter unten auf dieser Seite], die Dinge so umfassend wie möglich in Angriff zu nehmen.

„Ich freue mich besonders, dass viele Flüchtlinge gekommen sind und sich aktiv in die Arbeitsgruppen eingebracht haben. Wir werden in Kontakt bleiben. Auch die Beteiligung von Vertretern verschiedenster Vereine und Kirchengemeinden hat sich positiv bemerkbar gemacht. Der Kreis derer, die sich in Ostfildern um die Aufnahme geflohener Menschen kümmern, hat sich geöffnet und ist noch größer geworden.“

Nathalie Stengel-Deroide

Herr Bolay, ist die Integration der geflohenen Menschen in Ostfildern Chefsache?
Die Integration ist bei uns nicht Chefsache, sondern Bürgersache. Außerdem haben wir hier sehr gute Männer und Frauen in den Abteilungen unserer Verwaltung. Da muss ich nichts zusätzlich vorantreiben.

Haben Sie Ihre Verwaltung in den letzten Monaten aufgestockt?
Wir haben uns in verschiedenen Bereichen verstärkt. Allerdings werden viele Aufgaben noch vom Ehrenamt abgedeckt. Aber das stößt irgendwann auch an seine Grenzen quantitativ wie qualitativ. Das bürgerschaftliche Engagement hier in Ostfildern ist unentbehrlich. Aber verschiedene Aufgaben müssen wir allmählich auch zurückholen. Beispielsweise müssen Sprachkurse an der Volkshochschule stattfinden, nur so können die Teilnehmer auch die notwendigen Zertifikate erwerben.

Wie erleben Sie den ersten kommunalen Flüchtlingsdialog in Ihrer Stadt?
Die Idee war es, unterschiedliche gesellschaftliche Akteure zusammenzubringen und Querverbindungen zu knüpfen. Das ist uns heute gelungen. Besonders wichtig ist es mir, mit den geflohenen Menschen zu reden, nicht über sie. Von oben herab zu proklamieren, wie Integration funktionieren soll, bringt nichts.

Wie hat die Ankunft von relativ vielen Flüchtlingen in den letzten Monaten ihre Stadt verändert?
Wir sind das Zusammenleben mit Menschen aus vielen Kulturen ja gewohnt; auch vor der Flüchtlingswelle lebten hier in Ostfildern Menschen aus 115 Nationen, zogen Menschen fort und kamen neue hinzu. Nur die Geschwindigkeit hat sich halt drastisch erhöht.

Sie blicken also optimistisch in die Zukunft?
Mittelfristig eröffnen uns die neuen Ostfilderner neue Perspektiven in Zeiten eines immer stärkeren Arbeitskräftemangels. Insgesamt ist unsere Stadtgesellschaft stärker geworden, es wurden neue, bis dato ungenutzte Potenziale der Beteiligung erschlossen. Wo soll Integration erfolgreich gestaltet werden können, wenn nicht bei uns, in unserer starken Region?

Weitere Stimmen aus Ostfildern

Andrea Koch-Widmann

Schon seit 2014 gibt es bei uns in Ostfildern es ein breites ehrenamtliches Engagement für Geflohene und Asylsuchende. Doch der kommunale Flüchtlingsdialog ist ein erster wichtiger Schritt zu einem Dialog mit Flüchtlingen und Migranten. Als mittelfristiges Ziel sehe ich eine dauerhafte politische Vertretung, einen Migrantenbeirat. Darüber hinaus ist uns als Freundeskreis Asyl der Dialog mit Hauptamt und Vereinen sehr wichtig.

Andrea Koch-Widmann

Nathalie Stengel-Deroide

Ich freue mich besonders, dass viele Flüchtlinge gekommen sind und sich aktiv in die Arbeitsgruppen eingebracht haben. Wir werden in Kontakt bleiben. Auch die Beteiligung von Vertretern verschiedenster Vereine und Kirchengemeinden hat sich positiv bemerkbar gemacht. Der Kreis derer, die sich in Ostfildern um die Aufnahme geflohener Menschen kümmern, hat sich geöffnet und ist noch größer geworden.

Nathalie Stengel-Deroide

Mohammed Sipan

Ich finde es toll, dass wir uns direkt in den Flüchtlingsdialog einbringen und uns hier zugehört wird. Ich bin seit sechs Monaten hier in Ostfildern. Ich wohne zusammen mit zehn anderen Syrern in einer Wohngemeinschaft, es läuft bei uns echt gut. Als ich nach Deutschland kam, wollte ich zunächst in eine große Stadt – mindestens so groß wie Stuttgart. Aber inzwischen will ich hierbleiben. Ich denke, es ist einfacher, in einer kleineren Stadt anzukommen.

Mohammed Sipan

Ursula Zitzler

Hier haben sich viele Akteure zusammengefunden. Ich finde es wichtig, dass wir in unsere Gespräche die Geflüchteten mit einbeziehen, ihre Wünsche und Befindlichkeiten erfahren. Ich bin gespannt auf die Schlüsse aus unseren Gesprächen und hoffe auf viele kreative Ideen, die wir dann gemeinsam umsetzen. Unser kommunaler Flüchtlingsdialog ist ein gutes Beispiel, wie eine Stadt das Potenzial ihrer Bürgerschaft nutzen kann.

Ursula Zitzler

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